Beitrag zum Festival Theaterformen am 16.06.2024

Im Film Malcom X von Spike Lee gibt es eine Szene, in der eine weiße Studentin auf Malcom X zutritt, nachdem dieser gerade eine Rede am College gehalten hat. Sie fragte ihn, was sie zum schwarzen Befreiungskampf beitragen kann. Malcom X antwortet kühl und ohne weitere Ausführungen „nichts“ und geht weg.

Aus dieser Szene könnten vernunftfaule Menschen jetzt zwei falsche Schlüsse ziehen – den pathetisch-ohnmächtigen, in dem sie sagen, „Ach, gibt es denn nichts, was wir als privilegierte weiße Menschen für die armen und unterdrückten Schwarzen tun können“ und den unverständlich-empörten (und vielleicht insgeheim erleichterten) „Wie, wir können nichts machen. Soll das heißen, wir sollen einfach nichts tun?“. Beides schießt am eigentlichen vorbei.

Die Szene aus dem Film sollte stattdessen – insbesondere für weiße Menschen – eine Frage aufwerfen. Sie enthält keinen stumpfen Befehl, sondern eine Denkanregung: Wie können Bündnisse und Allyship aussehen?

Je ekliger und lauter der Rassismus sich zeigt, desto einfacher scheint die Frage sich von selbst zu beantworten. Wenn reiche Snobs auf Sylt Naziparolen in Handykameras lallen, in Dresden Wahlkämpfer beim Plakatieren von Leitern geprügelt werden oder Faschismusbefürworter in Potsdam Deportationspläne schmieden, gibt es schnell ein paar Fernsehkameras, in die empörte Menschen, meist mit prominenter Parteizugehörigkeit, ihre Ablehnung, ihr Unverständnis und ihre Überraschung äußern.

Ob diese Entwicklungen für Menschen mit Migrations- und Fluchtbiografie so überraschend sind, sei dahingestellt. Die, die überrascht tun, hätten ihnen vielleicht besser zugehört. Die Ablehnung und das Unverständnis gegen den rassistischen Unsinn bleibt aber zweifelsohne richtig. Laut und sichtbar sein, auf die Straße gehen, Haltung zeigen – alles wichtige Dinge. Und wenn ich es nicht selbst auf die Demo schaffe, dann zumindest ein Like auf Insta. Interpassiver Aktivismus.

Das ist nicht so despektierlich gemeint, wie es sich anhört. Aber ein komischer Beigeschmack bleibt. Vor allem dann, wenn an prominenter Stelle von Brandmauern die Rede ist, breite Bündnisse beschworen werden, es aber an vielen Stellen bebt, bröckelt und bricht.

Denn auch wenn es gegen den lauten Rassismus noch einen einigermaßen gesellschaftlichen Konsens geben sollte, oder zumindest eine allgemeine Empörung, sieht es beim leisen Rassismus anders aus. Das ist der Rassismus der Amtsstuben, der Blicke, der Strukturen, der Gesetze und Verordnungen (mögen sie euphemistisch „Rückführungsverbesserungsgesetz“ oder GEAS Krisenverordnung heißen), der stille Rassismus, der Bezahlkarten, Abschiebehaftanstalten und Arbeitsverbote. Was bereits Alltag ist, muss sich nicht mehr laut zeigen und wird schweigend praktiziert.

Dazu passt auch der Satz des Exekutivkomitees der Sudanesischen Flüchtlinge „We thought that when we cross the aggressive waters of the Mediterranean we will […] save everyone’s life. We did not know that we would face the monsters of the laws, cement and bureaucracy.”

Die Menschen, die zu uns ins Refugium kommen, haben in erster Linie nicht Angst vor großbürgerlichen Kleingeistern auf Luxusinseln, die besoffen in Kameras gröhlen, da sie dort schon geldtechnisch kaum hinkommen; und auch das Dorf- und Schützenfeste keine sicheren Orte sind, wissen Menschen mit Flucht- und Migrationsbiographie schon seit Jahrzehnten; auch Wahlhelfer:innen werden Menschen, die nicht wählen dürfen eher selten; und auch die Deportationsphantasien von AfD und Konsorten sind nicht die größten Sorgen von geflüchteten Menschen – den problematischer als diese Phantasien, ist der jetzt bereits ganz reale Abschiebediskurs. Während die AfD in Potsdam noch phantasiert, wird in Niedersachsen der Abschiebestopp für Menschen aus dem Irak aufgehoben, in Hamburg, Berlin und München starten Abschiebeflieger, in Bienenbüttel werden Kirchenasyle geräumt und Länder und

Kommunen erproben die Einführung von Bezahlkarten und die Ausweitung der Abschiebehaft. Entscheidender, als das, was in Hotels und Restaurants passiert, ist in diesen Fällen, was auf Amtsfluren, hinter den geschlossenen Bürotüren oder nach dem Aufrufen der Wartenummer passiert.

Spätestens hier stellt sich dann auch die Bündnis- und Allyshipfrage: Wie ernst kann ich insbesondere als weiße Person noch genommen werden, wenn ich zwar empört auf Demos „Nazis raus“-Rufe – wobei ja scheinbar schon „Ganz Braunschweig hasst die AfD“ zu radikal zu sein scheint… -, aber gleichzeitig zu den vielen bereits jetzt stattfindenden Schweinerein mich so verhalte, als würde ich sie akzeptieren. Wie glaubhaft bin ich Menschen mit Fluchtbiografie gegenüber, wenn ich die AfD zwar doof finde, aber die Einführung von Bezahlkarten und Vereinfachung nächtlicher Abschiebungen mittrage.

Es bleibt das unangenehme Gefühl, dass der strahlende und laute Aktivismus der Lichterketten und Demoreden, manchmal mehr dem eigenen Gewissen als der praktischen Solidarität dient. Doch selbst da, wo dieser Aktivismus ernstgemeint ist und die „schöne Seele“ nicht nur Likes und Schulterklopfen erhalten möchte, sondern diese Aktionen als Interventionen ins Sicht- und Sagbare dienen, als Haltung zeigen, als „bis hierhin und nicht weiter“, sind sie zwar notwendig, aber nicht hinreichend.

Vielleicht kann ein Text der Science-Fiction-Autorin Ursula LeGuin hier eine Anregung geben. In ihrem Essay „Carrier Bag Theory of Fiction“ unterscheidet sie zwischen den Heldenerzählungen auf der einen und den „Carrier Bag-Geschichten“ auf der anderen Seite. Sie führt darin die Kritik von Anthropologinnen und Feministinnen weiter, die gezeigt haben, dass nicht das Jagen von Mammuts und anderen Großtieren die Existenz des prähistorischen Menschen gesichert hat, sondern das Sammeln und Pflegen von Pflanzen. Vor dem Speer kam die Tragetasche. Carrier Bag.

Doch obwohl, oder gerade, weil diese Form des Jagens nicht elementar war, wurde sie rhetorisch überhöht. Wichtiger als das Fleisch, war die Geschichte der Jagd, schreibt LeGuin. Wichtiger als die Demo ist der Insta-Post davon, ließe sich heute weiterführen.

LeGuin möchte stattdessen, die anderen Praktiken wieder sichtbar machen, die ohne martialisch-heroischen Anstrich daherkommen. Das gemeinsame Sammeln, das Aufbewahren, das umeinander sorgen und füreinander da sein. Die Carrier-Bag-Stories. Vielleicht brauchen wir daher im Anschluss an LeGuin eine Carrier Bag Theory of Allyship – Allyship, das nicht darauf baut, dass weiße Menschen stolz davon berichten, welcher armen Personen sie aufopferungsvoll geholfen haben, oder wo sie besonders laut (aber immer vergleichsweise sicher) protestiert haben, oder wo sie sich, Hauptsache sichtbar schlecht gefühlt haben.

Sondern Allyship verstanden als einen leisen aber ehrlichen Aktivismus, der beharrlich wichtige Informationen sammelt und diese zur Verfügung stellt (zum Beispiel von regionalen Nazistrukturen und Raumnahmeversuchen, oder den Schweinereien, die sich unauffällig in Gesetzestexten verstecken), oder Carrier-Bag-Aktivismus der minutiös Ereignisse aufarbeitet und archiviert (wie im Fall des Forensic-Architecture-Kollektiv, die das beabsichtigte Sterbenlassen im Mittelmeer dokumentieren), oder Carrier-Bag-Allyship durch Initiativen, Communities und Vereine, die Begleitung, Beratung und Unterstützung gegenüber Ämtern, Wartefluren, rassistischen Vermietern und ausgrenzenden Bürokratien anbieten.

Das alles mag auf den ersten Blick nicht heroisch daherkommen, ist aber elementar im Alltäglichen verankert. Dabei ist es ganz so, wie Malcom X im Film meint: Es ist nicht so, dass Menschen mit Flucht- und Migrationsbiografie von weißen Menschen zwingend etwas brauchen. Es würde schon ausreichen, wenn wir keinen neuen Zement anrühren, um Mauern und Bürokratien zu bauen.

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